Michael Marzari aus Stuttgart-Vaihingen hat Multiple Sklerose. Lange Strecken gehen kann er nicht. Dennoch unternimmt er gern Touren ins Grüne. Auf seinem futuristischen Segway-Rolli.
Vaihingen/Leinfelden-Echterdingen – Irgendwas stimmte da nicht. Plötzlich hatte Michael Marzari Sehstörungen. Von einem Tag auf den anderen versagten die Augen beim Zeitunglesen, das war Mitte der 90er Jahre. Später folgten Taubheitsgefühle in Händen und Füßen. Dann Sprachstörungen. Als er auf einem Fest plötzlich lallte und kaum mehr geradeaus gehen konnte, obwohl er nüchtern war, ließ er einen Arzt tiefer forschen. Und erhielt 2012 schließlich die Diagnose Multiple Sklerose (MS) – plus den Rat, sich alsbald mit der Rente auseinanderzusetzen. „Das war erst mal entsetzlich“, erinnert er sich.
Heute unternimmt Michael Marzari gern Ausflüge ins Grüne. Mit Enzo, dem Welsh Terrier, geht es regelmäßig um den Katzenbacher See nahe seinem Zuhause in Vaihingen. Demnächst steht Urlaub an. Es geht ins Berchtesgadener Land, auf Wiesen, über Berge, durch Wälder. Der 57-Jährige freut sich schon drauf, denn er wird die schöne Landschaft genießen können. Wo die Beine versagen, hat er seinen Apache; ein geländetaugliches Gefährt, halb Segway, halb Rollstuhl, das er allein durch Gewichtsverlagerung steuert.
Gekauft hat er das futuristische Mobil im Herbst bei der Firma Frankie in Kirchheim unter Teck. Die wiederum hat das Transportmittel einst gemeinsam mit dem Verein Behindert-Barrierefrei entwickelt. Laut der Geschäftsführerin Gabriele Bayer werden pro Jahr bis zu 150 Fahrzeuge verkauft, Tendenz steigend. Ende dieses Jahres soll eine Eigenentwicklung auf den Markt kommen. Das heißt: Vom chinesische Mutterkonzern Segway-Ninebot, der Mitte Juli die Produktion des Segway Personal Transporters eingestellt hat, ist man dann nicht mehr abhängig.
Früher ist er mit dem Motorrad gefahren und Drachen geflogen
Michael Marzari ist ein Sportfan. Früher ist er Motorrad gefahren, er war tauchen, Drachenfliegen. Heute kann er das nicht mehr. Aber er kann andere Dinge tun, etwa gemeinsam mit seiner Frau, mit der er seit 30 Jahren verheiratet ist, Ausfahrten unternehmen. Sie auf dem Fahrrad, er entweder auf einem großen Tretroller oder auf seinem Segway. „Ich sage immer, alles im Leben hat seine Zeit. Jetzt ist halt Segway-Zeit“, sagt er lächelnd. Überhaupt lächelt Michael Marzari viel. Seine schwere Diagnose hat ihm den Lebensmut nicht genommen. „Ich bin keiner, der sagt: Um Himmels Willen, MS! Ich bin um alles froh, was geht“, sagt er und wippt auf dem Apache leicht vor und zurück.
Mit Einschränkungen muss er trotzdem leben. Spritzen setzt er sich regelmäßig selbst, Physio- und Ergotherapien gehören zum Alltag. Heute lässt er dafür keine Gläser und Flaschen mehr fallen, und auch beim Schreiben hat er weniger Probleme, „alles bei MS kann sich wieder zurückbilden“, sagt er. Seinen Beruf als Stuckateurmeister hat Michael Marzari dennoch an den Nagel gehängt. Heute arbeitet er bei der Stadtverwaltung Leinfelden-Echterdingen fürs Ordnungsamt.
Viele Leute sprechen ihn auf sein besonderes Gefährt an
Nicht nur wegen seiner Energie fällt Michael Marzari auf. Auch sein Elektro-Fahrzeug ist ein Hingucker. Viele Leute sprechen ihn an, wenn er den Apache über eine Rampe aus seinem Auto gleiten lässt und dann mit bis zu 20 Sachen losdüst. Was ist das? Wie geht das? Wie hält man das Gleichgewicht? Auskunft gibt er gern. Michael Marzari spricht so begeistert von seiner Anschaffung, er könnte glatt Vertreter sein. „Ich komme damit in den kleinsten Aufzug“, auch Fahrten bergauf oder am Strand, wo er mit seinem klassischen Rollstuhl schnell an seine Grenzen stoße, gingen gut. Das bedeute für ihn Freiheit. Ein herkömmlicher E-Rolli sei ihm indes zu klobig und nicht wendig genug, und auch der moderne Look des „Self Balancing Wheel-Chair“ gefällt ihm einfach besser. Dazu trägt er einen schnittigen Helm in Anthrazit. Er findet: „Das Ganze soll nicht aussehen wie schwerbehindert.“ Sondern ein bisschen mehr nach Trendsport. Und nach Normalität.