Kirchheim/Teck. Die Probleme kamen schleichend. Erst verschwammen die Bilder vor Oliver Fleiners Augen, dann haperte es mit dem Gleichgewicht. Dinge, die der leidenschaftliche Biker bis dahin so nicht kannte. „Wir sind Pässe gefahren, und ich konnte nicht mehr einschätzen, wann ich abbremsen muss“, erzählt Fleiner. Als seine Hände beim Trinken zitterten wie bei einem Alkoholiker, war Schluss. Ab zum Arzt. Die Suche nach der Ursache endete im Jahr 2000 mit einer niederschmetternden Diagnose: Multiple Sklerose.
Heute, 20 Jahre später, unternimmt Oliver Fleiner gern Ausfahrten mit seinem Sohn. Gemeinsam geht's in flottem Tempo über Stock und Stein, über Wiesen, durch Wälder oder auf Berge. Der Teenager auf dem Fahrrad, der Papa im, wie er sagt, „geilsten Rollstuhl der Welt“: einem geländetauglichen Gefährt, halb Segway, halb Rolli, das er durch Gewichtsverlagerung steuern kann.
Entwickelt hat Oliver Fleiner seinen „Self-Balancing Wheelchair“ selbst. „Es gab nichts Gescheites auf dem Markt“, sagt er. Sein Urteil über den ersten Rollstuhl, den er seinerzeit über die Krankenkasse bekam ist vernichtend: Zu klobig, zu unflexibel, zu hässlich, zu langsam. „Das war Schrott“, sagt der 54-Jährige, „das hat mit Inklusion nichts zu tun.“
Oliver Fleiner ist Ingenieur. Ehemals war er in der Fahrzeugentwicklung tätig. Seit dem Jahr 2004 ist er zwar erwerbsunfähig berentet, aber das Know-how, das ist da. „Die ersten Rollstühle haben wir nur für uns gebaut“, sagt er, und mit uns meint er sich und Willi Lang, einen Schlaganfall-Patienten. Zusammen bilden sie die Doppelspitze des Vereins Behindert-Barrierefrei mit Sitz in Kirchheim unter Teck im Kreis Esslingen, der sich für die Belange Gehandicapter starkmacht. Die futuristischen Prototypen von damals sind mittlerweile in Serie gegangen. Seine Erfindung hat Oliver Fleiner an die Firma Frankie, ebenfalls ansässig in Kirchheim, übergeben. Die Geschäftsführerin Gabriele Bayer, die ehemals einen Familienbetrieb im Bereich Ladenbau leitete, war schnell überzeugt. „Als ich ihre Gesichter gesehen habe, wie sie wieder mobiler geworden sind, das hat mich motiviert“, sagt Bayer.
Bis zu 20 Kilometer pro Stunde
Produziert werden die Rollstühle in Österreich, im Schwäbischen finden Endfertigung, Anpassung und Auslieferung statt. Der Verein Behindert-Barrierefrei übernimmt die Beratungen der Interessenten und die Probefahrten. Denn der Ritt auf den bis zu 20 Kilometer pro Stunde schnellen Sitz-Segways namens Apache und Sitting Bull will gelernt sein. Seit wenigen Tagen hat die Firma Frankie ein nagelneues Modell im Portfolio: den Hoss. Der lässt sich wie die Vorgänger per Gewichtsverlagerung steuern, hat aber auch einen Joystick und soll damit selbst für Schwerstbehinderte geeignet sein.
Der Unterbau ist eine Eigenentwicklung des chinesischen Konzerns Segway-Ninebot. Seit der Mitte Juli die Produktion des Segway Personal Transporters eingestellt hat, ist man damit unabhängig. Tempomat, Akkutechnik, App und Antriebsschlupfregelung (ASR), die verhindern soll, dass der Fahrer etwa auf Eis die Kontrolle über das Gefährt verliert: Vier Jahre hat das Team getüftelt und Patente angemeldet.